Bechstein-Tradition

Höchste Qualität seit 1853. Blättern Sie in einer Firmengeschichte, die gleichzeitig eine spannende Erfolgsgeschichte ist.

PIANO GLOBAL

Das Jahr 2003 stand freilich auch im Zeichen einer veränderten Eigentümer-Struktur. Bereits im September 2002 hatte ein bedeutender koreanischer Instrumentenhersteller Interesse an einer Kooperation mit Bechstein gezeigt: Samick in Seoul. Samick war kein gänzlich unbekannter Partner: schon 1983 hatten die Koreaner mit dem damaligen Bechstein-Hauptgesellschafter Baldwin die Korean American Musical Instruments Corporation gegründet, die es nur ein Jahr später auf eine gesamte Jahresproduktion von 66.000 Instrumenten brachte. Samick war nun 2002 restrukturiert worden, fertigte jährlich etwa 50.000 Flügel und Pianos, daneben Digitalpianos und rund eine halbe Million Gitarren. Dementsprechend betrug die Zahl der Mitarbeiter etwa dreitausend. Produziert wurde nicht nur am Hauptsitz Seoul, sondern auch im indonesischen Jakarta und später im chinesischen Shanghai. Mit Samick America stand in den Vereinigten Staaten eine durchsetzungsfähige Vertriebsorganisation zur Verfügung.

Die Verhandlungen verliefen positiv. Im Dezember 2002 war der Vertrag unterschriftsreif. Im Januar 2003 wurde Samick Aktionär und Kooperationspartner; im Gegenzug gab es für das Ehepaar Küpper/Schulze eine Beteiligung an dem koreanischen Seniorpartner. Für das Berliner Traditionsunternehmen eröffneten sich damit neue Möglichkeiten, die Modelle weiterer Marken aus dem unteren Preissegment in den Fertigungsstätten des Partners herstellen zu lassen und für Modellreihen im mittleren Bereich womöglich etliche günstiger zu kalkulierende Vorprodukte bei konstanter Qualitätskontrolle einsetzen zu können. Der koreanische Partner wiederum war besonders an der Strahlkraft der Marke Bechstein interessiert. Die Partnerschaft fand sehr bald ihren besonderen Ausdruck in der Eröffnung eines Bechstein-Centers in Seoul.

EIN INTERNATIONALER KLAVIERWETTBEWERB

Ohnehin bedeutete die Feier des 150jährigen Bestehens, wie schon erwähnt, eigentlich nur eine Durchgangsstation. Für den Rückblick auf die eineinhalb Jahrhunderte seit 1853 blieb unter den herrschenden wirtschaftlichen – vor allem weltwirtschaftlichen – Rahmenbedingungen wenig Zeit. Dafür setzte die C.Bechstein Pianoforte AG schon drei Jahre später einen ganz anderen Akzent. Die „C.Bechstein International Piano Competition“ wurde ins Leben gerufen. Der Wettbewerb soll alle vier Jahre stattfinden. Beim ersten Mal lautete die Bezeichnung noch „1.Internationaler Carl Bechstein Klavierwettbewerb-Ruhr“. Austragungsorte waren vor allem die international bedeutende Essener Folkwang Hochschule und die neue Essener Philharmonie. Als Schirmherr hatte sich der Pianist und Dirigent Vladimir Ashkenazy zur Verfügung gestellt. Zum künstlerischen Leiter wurde der Pianist Boris Bloch berufen, der auch der Jury präsidierte. Zu den Juroren gehörten unter anderen die Pianistin Idil Biret, ihr Künstlerkollege Kyrill Gerstein und der russische Komponist Alexander Tschaikovsky, der künstlerische Leiter der Moskauer Philharmonischen Gesellschaft.

Als nach Monaten der Vorbereitung die Post gesichtet wurde, war die Überraschung perfekt: 250 junge Pianisten aus 55 Ländern meldeten sich an. Bechstein Marketingleiterin Berenice Küpper, Gründerin des Wettbewerbs und selbst ausgebildete Pianistin, hätte sich keine eindrucksvollere Bestätigung für die Tatsache wünschen können, dass der Name Bechstein offenbar rund um die Welt seinen alten Glanz hat bewahren können. Knapp fünfzig Teilnehmer wurden dann zum Wettbewerb zugelassen. Und nach zehn Tagen des ebenso edlen wie nervenaufreibenden Wettstreits stand der junge bulgarische Pianist Evgeny Bozhanov als Sieger fest. Der erste Preis war mit insgesamt 15.000 Euro verbunden – auch das ein Hinweis darauf, dass dieser Wettbewerb schon vom Start weg sich einen Platz unter den bedeutenden internationalen Konkurrenzen sichern konnte. Im Übrigen hätte der große Mentor und Freund des Firmengründers Carl Bechstein, Hans von Bülow, seine Freude gehabt: für alle Teilnehmer war eine Auswahl aus Werken Bachs und Beethovens Pflicht. Eine Besonderheit gab es dafür im Semifinale. Hier musste jeder Kandidat ein Klavierkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart in einer öffentlichen Probe zusammen mit einem Streichquartett erarbeiten und dabei sowohl seine solistische wie seine kammermusikalische Kompetenz beweisen. Mozart hat für einige seiner Klavierkonzerte diese Praxis ausdrücklich als Alternative vorgesehen.

NEUE PARTNER

Das Jahr 2006 brachte übrigens erneut veränderte Besitzverhältnisse. Schon Ende 2005 hatten der Vorstandsvorsitzende Karl Schulze und seine Ehefrau Berenice Küpper die Hälfte der bei Samick liegenden Bechstein-Aktien zurückerworben; gegen Ende des Jahres 2006 erhöhten sie zusätzlich ihren Anteil über die Börse auf fast 30 Prozent. Bei den koreanischen Partnern, nunmehr nur noch Finanzinvestor, verblieben 19,5 Prozent, also deutlich weniger als für eine Sperrminorität erforderlich.

Dieses erste Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts! Späteren Generationen wird es vielleicht einmal als einer der rasantesten Zeitabschnitte der Menschheitsgeschichte erscheinen. Beinahe Tag für Tag erschafft sich die Welt neu. Indische Magnaten kaufen europäische Stahlkonzerne und englische Traditionsmarken des Automobilbaus; gigantische russische Energie-Monopolisten treten als Partner von ganz Europa auf. China sorgt für mindestens so viele Schlagzeilen wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Globalisierung ist in aller Munde. Es gibt ihre Befürworter und Vorkämpfer und deren entschiedene Gegner, die letzteren oft genug in sogenannten Non Government Organizations(„NGOs“) zusammengeschlossen. Die ökonomischen Prozesse erfordern nicht selten rasches Umdenken und Umsteuern. Wo gerade noch niedrige Löhne Investoren anlockten, können sehr bald schon mangelnde Qualifikation der Arbeitskräfte, das politische Umfeld, eine um sich greifende Korruption oder ganz einfach steigende Frachtkosten eben diese Investoren wieder vertreiben.

Wie baut man für diese Welt Klaviere? Und zwar Klaviere, die erwiesenermaßen jahrzehntelang halten, wenn nicht gar über hundert oder hundertfünfzig Jahre ihre Qualität und ihre Faszination bewahren?

 

EUROPAS WICHTIGSTER HERSTELLER

Mittlerweile ist Bechstein der größte Europäische Hersteller für Flügel und Klaviere. Bei Bechstein sieht man durchaus die Vorteile der Globalisierung, aber auch die Nachteile. Ende des ersten Jahrzehnts des 21.Jahrhunderts arbeitet man mit den besten Zulieferern zusammen, die ein Spezialteam weltweit sucht und betreut, denn mit einer einfachen Zusammenarbeit ist es nicht getan. Schulungsteams implantieren ein Bechstein Quality Management, damit die peniblen Bechstein Spezifikationen eingehalten werden. Resonanzböden aus europäischer Fichte aus ausgewählten Hochlagen kommen zum Beispiel als Tafeln vorverleimt an. Sollen sie für Klaviere verwendet werden, müssen sie zwischen sechs und zwölf Monaten klimatisiert und behandelt werden. Bei Konzertflügeln beträgt diese Frist zwei Jahre. Hammerköpfe für Flügel müssen sechs Monate liegen, Hammerköpfe für Klaviere drei Monate. Zwei Beispiele dafür, dass das großindustrielle Prinzip einer Just-in-time-Produktion, bei der ein Logistik-Partner das rollende Lager bereithält, im Instrumentenbau nicht zu realisieren ist. Immer noch prägen Manufaktur und Handwerk in wesentlichen Zügen die Fabrikation von Klavieren und Flügeln.

Das erste Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts verändert freilich auch die musikalische Ästhetik. Einerseits gibt es – vor allem in Mittel- und Westeuropa sowie in den USA und Kanada - eine etablierte Szene der sogenannten authentischen Aufführungspraxis. Gefragt sind dort „Originalinstrumente“, ob diese nun wirklich original sind oder Nachbauten; die letzteren übertreffen übrigens gelegentlich die Vorbilder an Qualität. Fast stets handelt es sich jedoch um Einzelanfertigung in handwerklicher Tradition. Anderseits fordert der moderne Konzertbetrieb in Europa, in den USA, in Russland und in Fernost durchsetzungsfähige Tasteninstrumente mit großem Ton und großem Farbreichtum, die auch in den neuen gigantischen Konzertsälen mit deren durchaus veränderten akustischen Bedingungen brillieren. Das Publikum will den „event“, das außerordentliche Ereignis, für das es auch durchaus zu zahlen bereit ist. Das Publikum will Glanz und Glamour.

Spürbar ist auch der Einfluss der russischen Schule. Schon vor dem Ende des Sowjetreichs, erst recht aber danach kamen zahlreiche russische Pianisten nach Mittel- und Westeuropa und trugen zur Verbreitung dieser Schule wesentlich bei. Die russische Schule pflegt ein im Wortsinn nachdrückliches Klavierspiel, ganz im Gegensatz etwa zum jeu perlé der älteren französischen Tradition, hinter dem noch die Musizierpraxis der höfischen Clavecinisten und Lautenisten aufschimmerte. Gegensätzlicher können Stile kaum sein.

EIN NEUER KONZERTFLÜGEL

Bechsteins neuer Konzertflügel schien tatsächlich wie geschaffen für diese veränderten Bedingungen. Zwei kleine Details: Beim Modell D verzichtete man auf die Agraffen im Diskant – jahrzehntelang ein untrügliches Kennzeichen der Bechstein-Instrumente – und ging wieder zum Kapodaster über, einer fest in die gusseiserne Platte integrierte Klangleiste, unter der die Saiten entlang geführt werden; und man setzte auf die sogenannte Duplex-Skala, ein besonderes Verfahren, bei dem die Saitenüberhänge so gestaltet werden, dass sie in einfachen Schwingungsverhältnissen mitklingen und den Ton der Saite so verstärken.

Das allein freilich reichte nicht. Ganz ähnlich wie zu Zeiten des Firmengründers Carl Bechstein musste das persönliche Engagement hinzukommen. Carl Bechstein brauchte sich freilich nicht eben häufig aus Berlin weg zu begeben. Wer hingegen als Vorstandsvorsitzender der C.Bechstein Pianofortefabrik AG im ersten Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts Flügel an die Moskauer Oper verkaufen will, der muss an die Moskwa fliegen; und wenn er mit den führenden Pianisten reden möchte, tut er dies am besten persönlich, und zwar zum Beispiel in La Roque d’Anthéron, dem großen südfranzösischen Klavierfestival. Die Route Berlin – Seoul war nicht die einzige, die Karl Schulze in diesen Jahren regelmäßig buchte.

Ende 2008. Noch längst nicht ist das Ende einer turbulenten Zeit abzusehen. Immerhin gehören Zollschranken in Europa weitgehend der Vergangenheit an. Es gibt keinen Deutschen Zollverein wie 1853, sondern eine Europäische Union, die sich seit dem Ende des einstmals sowjetrussisch dominierten Comecon-Blocks stetig nach Osten und Südosten erweitert hat.

DIVERSIFIKATION

Und bei Bechstein baut man nicht zwei oder drei Klaviermodelle und vielleicht noch einen Flügel, wie in den 1850er Jahren, sondern man stützt sich auf eine Produktpalette, für die das Wort „Diversifikation“ schon beinahe untertrieben klingt. Das breite Angebot ist zugleich ein Spiegel der immer weiter auseinander driftenden Familieneinkommen; das sogenannte Bürgertum, das immer schon den sichersten Absatzmarkt für Tasteninstrumente bildete, hat längst jeden Schein von Homogenität eingebüßt. Anderseits: Wie war das noch mit dem rationell gefertigten „Volksklavier“, das der junge Carl Bechstein seinerzeit in Paris in Kriegelsteins Fabrik kennenlernte?

Das Volksklavier heißt bei Bechstein inzwischen „Euterpe“. Euterpe war ursprünglich ein Berliner Unternehmen, das sich nach dem 2.Weltkrieg im fränkischen Langlau angesiedelt hatte und 1990 von C.Bechstein erworben worden war. Nach dem Ende in Langlau wurden von der Mitte der 90er Jahre bis 2003 die neuen „Euterpe“-Klaviere und -Flügel in Kooperation mit der tschechischen Traditionsmarke Petrof hergestellt. 2003 bis 2008 erhielten die Instrumente ein völlig neues Design und wurden in Zusammenarbeit mit Samick im indonesischen Jakarta gefertigt.

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