Am 23. April 2026 wird der im Jahr 2000 in Tel Aviv geborene Künstler, der gerade sein Studium an der Barenboim-Said Akademie in Berlin bei Sir András Schiff abgeschlossen hat, sein Wiener Debüt im Ehrbar Saal geben. Mit Gregor Willmes sprach Carmeli über das geplante Konzert, seinen berühmten Mentor und seine Liebe zum Jazz und zum Schauspiel.
Gregor Willmes: Lieber Itamar, Sie geben am 23. April 2026 einen C. Bechstein Klavierabend im Ehrbar Saal in Wien. Ist das Ihr Wiener Debüt?
Itamar Carmeli: Ja, tatsächlich ist es mein erster Auftritt in Wien. Ich freue mich schon sehr darauf!
GW: Welche Beziehungen haben Sie zu Wien? Waren Sie schon einmal dort?
IC: Ich war schon einmal in Wien, genauer gesagt im wunderschönen Ehrbar Saal. Ich war in den schönen Übungsräumen in diesem Gebäude.
GW: Haben Sie auch den Saal gesehen?
IC: Ich habe den Konzertsaal gesehen, und ich mag ihn. Ich hatte die Gelegenheit, dort etwas herumzulaufen und die unglaubliche Atmosphäre zu spüren. Ich freue mich schon sehr darauf, dort etwas Magisches zu schaffen.
GW: Sie treten in der Reihe „Building Bridges“ auf, in die Sir András Schiff hervorragende junge Pianisten einlädt. Was glauben Sie, warum hat er Sie ausgewählt?
IC: Maestro Schiff war mein Mentor und mein Lehrer – der beste Lehrer, den man sich wünschen kann. Die Jahre, die ich mit ihm verbracht habe, waren für mich sehr wertvoll, sowohl in Bezug auf meine Art Musik zu hören, als auch im Hinblick auf meine Art Musik zu machen. Es ist eine große Ehre, Teil dieser Reihe zu sein. Wer sonst macht so etwas, um die junge Generation zu fördern und ihr diese Chance zu geben? Ich finde es wirklich wichtig, was Herr Schiff tut, und ich bin ihm dafür sehr dankbar.
GW: Sie studieren seit vier Jahren bei Sir András in Berlin. Und Herr Schiff meint, wichtig für die Auswahl seiner Studenten sei, dass zwischen den Studenten und ihm die Chemie stimmen müsse. Passt das bei Ihnen beiden?
IC: Ich denke, das ist so. Maestro Schiff ist ein äußerst humorvoller Mensch. Er hat ein riesiges Repertoire an Witzen. Und ich habe versucht, ihm darin Paroli zu bieten. Aber mein Repertoire an Scherzen ist natürlich im Vergleich zu seinem sehr viel kleiner, genauso wie beim Klavier-Repertoire. Es ist schwer, mit ihm mitzuhalten. Zu seinem 70. Geburtstag habe ich ihm ein Notizbuch geschenkt, damit er seine Witze aufschreiben kann. Ich hoffe, er wird das Buch irgendwann veröffentlichen …
GW: Sir András hat auch gesagt: „Itamar ist ein sehr, sehr interessanter Mensch, sehr wach, sehr vielseitig interessiert, sehr kreativ. Er hat eine schauspielerische Begabung. Er hat eine organisatorische Begabung.“ Haben Sie die schauspielerische Begabung schon ausgelebt? Bekommen die Konzertbesucher von dieser Begabung auch etwas mit?
IC: Als Kind war ich ein Schauspieler. Aber je mehr ich mich auf das Klavierspiel konzentriert habe, desto weniger Zeit hatte ich für die Schauspielerei. Aber ich liebe das Theater und die Sprache immer noch, und ich glaube, das hat auch definitiv mein Klavierspiel beeinflusst. Ich würde gerne mehr davon machen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
GW: Das klingt sehr interessant. Das bedeutet, Sie sind ein Schauspieler am Klavier? Gibt es Dinge aus der Schauspielerei, die Sie in Ihr Klavierspiel integriert haben?
IC: Man könnte es als Klischee bezeichnen, aber wir müssen an jedem Instrument verschiedene Charaktere verkörpern. Und natürlich müssen wir als Schauspieler zwischen verschiedenen Charakteren wechseln. Wenn man sich als Schauspieler mit der Rolle identifiziert, dringt man tief in die Seele eines Dichters oder eines Dramatikers ein. Das ist es, was ich auch als Musiker versuche zu tun. Wir haben das Privileg, die Musik der großen Meister zu lesen und zu versuchen, ihre Partituren zu verstehen und sie zum Leben zu erwecken. Ich denke, das ist eine Art der Verbindung, die ich auch zu den Komponisten habe: Ich versuche zu verkörpern, was die Komponisten wirklich ausdrücken wollten.
GW: Sie improvisieren auch. Und Sie hatten ein Stipendium am Berklee College of Music erhalten. Ich vermute, dass Sie dort auch studiert haben?
IC: Nein. Ich hatte dieses Stipendium, aber ich hatte mich entschieden, in Jerusalem bei meiner russischen Klavierlehrerin zu bleiben. Ich wollte nach Berlin gehen und Dirigent werden. Wir hatten einen Sommer in Berklee verbracht, eine Gruppe von Jazzmusikern, sehr jung, sehr hungrig, sehr strahlend, alles Freunde.
GW: Wie alt waren Sie da?
IC: Vielleicht 16. Wir hatten einen erfüllten Sommer. Es ist eine verwirrende Sache in meiner Biografie, weil wir den ganzen Sommer dort verbracht haben und bei einigen Jazzfestivals gespielt haben. Wir haben viel gelernt. Wir haben uns alle bei der Akademie beworben. Und wir haben dieses Stipendium erhalten. Das war sehr bewegend. Aber ich hatte mich entschieden, dass es eine Menge mehr für mich zu tun gab, um wirklich in die Tiefe zu gehen. Und das bedeutete Üben zu Hause.
GW: Aber Sie geben noch immer Konzerte als Jazz-Pianist?
IC: Es kommen ein paar Konzerte in diesem Jahr, nach einiger Zeit, in der das wirklich nicht auf dem Plan stand. Ich denke, in Berlin war die Jazz-Szene für mich nicht besonders attraktiv - aus Tel Aviv kommend. Und meine Freunde leben in New York. Wenn ich mit ihnen in New York studiert hätte, wäre meine Reise ein bisschen anders verlaufen. In Berlin zu sein, hat mir die Möglichkeit gegeben, in die Tiefe zu gehen, von der ich gesprochen hatte. Eine unglaubliche Arbeit, der ich mich mit Maestro Schiff gewidmet habe. Das hat auch meine Art zu improvisieren verändert, weil die Art, in der er Musik lehrt, die Art, in der er über Musik denkt – das ist nun wirklich in mein Fleisch und Blut übergegangen. Und ich denke, das hat mich als Pianist und als Musiker verändert.
GW: Das bedeutet, wenn Sie nun Jazz spielen, spielen Sie es auf eine Andere Art, weil Sie mit András Schiff die großen klassischen und modernen Werke studiert haben. Und wenn Sie nun klassische Musik spielen, sind Sie auch vom Jazz beeinflusst?
IC: Immer. Ich denke, das beeinflusst sich gegenseitig sehr. Das ist das Schöne. Die meisten der großen Meister, die wir spielen, haben auch fantastisch improvisiert, wie beispielsweise Bach oder Beethoven. Und ich denke, dass es nur natürlich ist, dass wir diese Kultur zurückbringen sollten. Ich finde es sehr bedauerlich, dass viele klassische Pianisten nicht wissen, wie man improvisiert. ... Ich denke, das ist etwas, was auch für die klassische Musik wichtig ist. Ich versuche so zu spielen, dass es bei jedem Konzert etwas anders klingt. Jedes Konzert muss etwas Persönliches haben und für den jeweiligen Moment relevant sein.
GW: Sie haben ein relativ normales klassisches Programm für Ihr Konzert in Wien gewählt. Werden wir dann eine Improvisation als Zugabe bekommen?
IC: Mag sein. Aber ich denke, mein Programm hat viel zu tun mit Improvisation. Es ist ein Programm, das mir erlaubt, sehr viel Spontanität einzubringen. Zum Beispiel bei der Aria im Capriccio von Bach haben wir einen figurierten Bass, aber Bach hat die Akkorde darüber nicht genau notiert. Und ich denk, das ist für uns eine Gelegenheit, eine Variation einzubauen, wie man die Akkorde ausspielt. Das Stück gibt uns Raum und Freiheit.
GW: In Ihrem Programm stellt sicherlich die selten aufgeführte Klaviersonate von Gideon Klein einen Höhepunkt dar, die der Komponist 1943 im Konzentrationslager in Theresienstadt geschrieben hat. Warum haben Sie dieses Werk ausgewählt?
IC: Eine bedeutende Lehrerin hat mir dieses Werk vorgestellt, eine große Mentorin, Frau Professor Pavlina Dokovska, bei der ich ein Jahr lang in New York studiert habe. Und ich denke, dass es wirklich ein Meisterwerk ist. Es ist Teil unserer Verantwortung als Künstler, speziell als junger Künstler, das Repertoire zu ergänzen und zu verjüngen. Nicht nur das Publikum, sondern auch die Künstler sollten müde sein, immer wieder dieselben zehn Stück zu spielen. Nicht, weil es in diesen Werken nichts mehr Neues zu entdecken gibt. Ich denke auch, dass solch ein Werk für mich als jüdischen Künstler, der in Deutschland lebt, auch eine historische Bedeutung besitzt. Es ist für mich wichtig, das auch in Wien zu spielen. Diese Musik drückt schreckliche Gefühle aus und besitzt Sarkasmus, Trauer und Schockwirkungen. Die Sonate ist so ausdrucksvoll und sollte Teil des Standard-Repertoires sein.
GW: Im Ehrbar Saal werden Sie auf einem C. Bechstein Konzertflügel D 282 spielen. Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Bechstein gemacht?
IC: Bechstein ist so ein besonderes Instrument. Es ist nicht eine passive Maschine wie einige andere Klaviere oder Flügel. Immer wenn ich einen Bechstein spiele, habe ich das Gefühl, dass wir zusammenspielen.
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Am 23. April 2026 gibt Itamar Carmeli im Ehrbar Saal Wien ein Recital. >> Alle Informationen hier.
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Fotos © Eesa Khoury // Oukool.Creative & C. Bechstein / N. Kornilowa