09.09.2025

„Großartige Instrumente“

Sir András Schiff sprach mit Gregor Wilmes über das Programm „Building Bridges“, den Ehrbar Saal und über C. Bechstein.

Sir András Schiff hat ein Förderprogramm für junge Pianistinnen und Pianisten ins Leben gerufen, das sich „Building Bridges“ nennt und auch regelmäßig im Wiener Ehrbar Saal zu Gast ist. Als „Brückenbauer“ betätigte sich der große Meister nun auch im Schloss Elmau, indem er selbst konzertierte und zwei junge Pianistinnen und einen jungen Pianisten dem von Stars verwöhnten Publikum präsentierte. Gregor Willmes traf den gerade mit dem Praemium Imperiale Award im Bereich Musik ausgezeichneten Künstler zum Interview.

Gregor Willmes: Sir András, Sie haben ein Förderprogramm gegründet und präsentieren unter dem Namen „Building Bridges“ junge Pianistinnen und Pianisten. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Pianistinnen und Pianisten aus?

Sir András Schiff: Das ist natürlich sehr subjektiv. Was mir gefällt, gefällt vielleicht nicht allen. Ich suche nach Persönlichkeiten, die etwas Besonderes zu sagen haben, solche, die für mich die richtige Einstellung zur Musik haben, das heißt, die nicht sich selbst in den Vordergrund stellen, sondern der Musik und den Komponisten dienen, dabei aber etwas sehr Persönliches und Individuelles mitbringen.

Willmes: Können Sie das an konkreten Beispielen erläutern? Was zeichnet für Sie beispielsweise Schaghajegh Nosrati aus, die Ihre Studentin an der Barenboim-Said-Akademie in Berlin war und dort nun als Ihre Assistentin arbeitet?

Sir András: Frau Nosrati ist mir sehr wichtig, schon allein aufgrund ihrer Begeisterung und ihrem Verständnis für Bach. Johann Sebastian Bach ist für mich der wichtigste Komponist. Wir wissen, dass Bach in allen Konservatorien Pflicht ist, aber ganz selten sehe ich junge Menschen, die sich in dieser Musik auskennen. Bei den meisten bleibt es eine Pflichtlektüre. Das ist bei ihr ganz anders: Sie spielt Bach ganz wunderbar, dabei meine ich Bach pur und nicht Bach-Busoni oder in anderen Bearbeitungen.

Willmes: Schaghajegh Nosrati hat den ersten Band von Bachs Wohltemperierten Klavier auf einem C. Bechstein Konzertflügel aufgenommen. Kennen Sie diese wunderbare Einspielung?

Sir András: Ich kenne sehr gut ihre Interpretation. Als sie noch bei mir studiert hat, haben wir auch daran gearbeitet. Aber jetzt ist sie eine fertige Künstlerin. Und die Aufnahme selbst habe ich leider noch nicht gehört.

Willmes: In der letzten Saison zählte Chloe Mun zu den „Building Bridges“-Künstlern. Sie hatte 2014 im Alter von 18 Jahren bereits den Concours de Genève und ein Jahr später den Internationalen Busoni-Wettbewerb in Italien gewonnen, bevor sie zu Ihnen gekommen ist. Was zeichnet sie aus?

Sir András: Ich muss erst einmal sehr unterstreichen, dass „Building Bridges“ eine „Anti-Wettbewerbsorganisation“ ist. Ich mache das wirklich für die jungen Pianistinnen und Pianisten in der Hoffnung, dass sie nicht weiter an Wettbewerben teilnehmen müssen. Weil das niemand gern tut. Ich kenne keine jungen Pianisten, die das gerne machen. Sie nehmen an Wettbewerben teil, weil es eigentlich keine veritable Alternative gibt, um Konzerte zu bekommen. Deshalb möchte ich ihnen diese Wettbewerbe ersparen und eine gute Alternative geben, um Konzertmöglichkeiten zu erlangen. Chloe war in Berlin meine Schülerin. Und es hat mich sehr beeindruckt, wie feinsinnig und kultiviert sie spielt. Sie kann aus dem Klavier wunderbare Farben herausholen.

Willmes: Bei „Building Bridges“ ist also Ihr Name die Eintrittskarte zu tollen Konzerten.

Sir András: Sozusagen. Aber ich bin auch kein Zauberer. Ich kann den jungen Menschen eine erste Möglichkeit beschaffen. Aber danach liegt es ganz in ihren Händen, ob sie dort wieder eingeladen werden oder daraus andere Einladungen entstehen.

Willmes: Bei größeren Wettbewerben hat man Anschlusskonzerte, und entweder begeistern die Preisträger dabei und werden wieder eingeladen, oder die Reihe der Anschlusskonzerte ist vorbei, und die Preisträger fangen wieder von vorne an.

Sir András: Ja, das ist leider die Wahrheit. Wir kennen die lange Liste von Preisträgern und Ersten Preisträgern bei den größten Wettbewerben. Und dann stellt sich die Frage: Wo sind sie heute?

Willmes: Aber der ein oder andere Preisträger beispielsweise vom Warschauer Chopin-Wettbewerb ist noch da ...

Sir András: Ja, Martha Argerich hat es geschafft. Krystian Zimerman auch. Aber es gibt auch viele andere, die das nicht geschafft haben.

Willmes: Auch im Wiener Ehrbar Saal, den C. Bechstein aufwändig renovieren ließ und nun betreibt, gibt es „Building Bridges“-Konzerte. Sie haben den Saal gesehen. Was zeichnet den Ehrbar Saal aus?

Sir András: Das ist ein ganz wunderbarer Saal. Wien ist für die Musik und die Musikgeschichte eine sehr besondere Stadt. Das muss man nicht betonen. Wien ist, glaube ich, die einzige Stadt in Europa, die trotz zweier Weltkriege wirklich unglaubliche Konzertsäle besitzt. Den Musikverein und das Konzerthaus mit mehreren Sälen in beiden Häusern. Auch der Ehrbar Saal ist ein Juwel. Mir war der Ehrbar Saal aus seiner glorreichen Geschichte bekannt: Brahms hat dort musiziert. Sehr viele bedeutende Musiker sind hier aufgetreten, auch Arnold Schönberg. Ich begrüße sehr und bin Ihnen bei C. Bechstein sehr dankbar, dass Sie den Saal jetzt wieder eröffnet haben und er jetzt wieder ein wichtiger Teil des Wiener Konzertlebens ist. Und ich bin sehr froh, dass Building Bridges dadurch jetzt auch in Wien präsent sein kann.

Willmes: Bei „Building Bridges“ formen Sie die Programme mit den Künstlern zusammen. Worauf achten Sie dabei?

Sir András: Die Ideen müssen von den jungen Menschen kommen. Sie müssen das mit mir besprechen müssen, aber ich entscheide nicht. Ich gebe Ratschläge. Ich sage zum Beispiel: Ich finde diese Stücke passen nicht gut zusammen. Oder es kommt ein junger Mensch zu mir und sagt: „Ich möchte in meinem Debüt-Recital Beethovens Opus 111 spielen.“ Dann ist mein Ratschlag: „Bitte warte damit. Es ist nicht richtig für einen jungen Menschen, damit anzufangen.“ Unser Repertoire ist so groß. Und ich vertrete die Meinung, dass es viele Stücke gibt, die sehr geeignet sind für junge Menschen, und andere, die eine gewisse Lebenserfahrung oder Lebenserlebnisse brauchen.

Willmes: In der nächsten Saison tritt am 23. April 2026 Itamar Carmeli bei „Building Bridges“ im Ehrbar Saal auf. Warum haben Sie ihn in die Reihe aufgenommen?

Sir András: Itamar ist jetzt schon seit vier Jahren bei mir in Berlin. Er hat mir in Israel vorgespielt. Da war er noch nicht so weit wie heute. Aber man spürt, man hört bereits nach ein paar Tönen, ob da etwas ist. Und es gehört auch immer eine gewisse Chemie zwischen dem Studenten und mir dazu. Diese Chemie muss funktionieren. Itamar ist ein sehr, sehr interessanter Mensch, sehr wach, sehr vielseitig interessiert, sehr kreativ. Er hat eine schauspielerische Begabung, eine organisatorische Begabung. Er kann auch sehr gut improvisieren.

Willmes: Eine verloren gegangene Kunst, die in den letzten Jahren zurückkehrt.

Sir András: Ja, das ist gut. Improvisation ist sehr wichtig. Die Organisten haben das nie vergessen. Aber die anderen Instrumentalisten schon.

Willmes: Im Ehrbar Saal spielen Ihre Protegés auf einem C. Bechstein Konzertflügel. In Kornberg unterrichten Sie an zwei C. Bechstein Flügeln B-212. Für die Barenboim-Said-Akademie in Berlin haben Sie gerade einen neuen C. Bechstein Flügel B-212 für den Mozartsaal ausgewählt. Was mögen Sie an C. Bechstein?

Sir András: C. Bechstein ist eine legendäre Marke. Und ich freue mich sehr, dass es jetzt weitergeht. Sie produzieren großartige Instrumente.

 

Gregor Willmes führte das Interview mit Sir András Schiff am 4. Juli 2025 in Schloss Elmau. Ein weiterer ausführlicher Teil des Interviews wird in einer der kommenden Ausgaben des deutschen Musikmagazins FONO FORUM veröffentlicht.

 

Fotos © dpossephotography/ C. Bechstein, N. Kornilowa/C. Bechstein, A. Kovács/ C. Bechstein und Nadja Sjöström (Portrait András Schiff)